Über die Quantifizierung der Welt (Philosophischer Exkurs)

 

Der Einfluss des Menschen auf den Planeten hat ein neues Zeitalter in die Wege geleitet. Wir streben im Beisein einer unnachahmlich-radikalen Ignoranz unserem Untergang entgegen. Fortschritt und Aufbau sind als Leitmotiv des unbegrenzten Wachstums zu einer gänzlich entfremdeten menschlichen Errungenschaft geworden. Es herrscht ein globaler Konkurrenzkampf um Materie, die künstlich erzeugte Bedürfnisse repräsentiert und die Vision von unaufhaltsamer menschlicher Macht am Leben erhält. Der Mensch selbst, ist derweil zu einem brutalen Monster verkommen, das Verschlingen sowie Erbeuten als höchstes Ziel ansieht und das Verhältnis von natürlichem Geben und Nehmen ad absurdum geführt hat. Die Folge sind weltweite Kriege, Ausbeutung, Armut und das ausbleibende Übernehmen von Verantwortung für nachfolgende Generationen. Jene Fehlentwicklung wurde durch den Menschen selbst in die Wege geleitet und als Lebensmodell der Zukunft widerspruchsfrei akzeptiert.

 

Was die ,,Zahl“ aussagt

 

Mit dem Entwurf der Zahlen, erfand der Mensch vor Jahrtausenden einen objektivierbaren Begriffsgegenstand. Die Zahl versucht, verborgene Eigenschaften und Existenzen in der Natur auf artifiziell-abstrakte Größen abzubilden. Sie ist der erste Versuch, die natürliche Substanz mitsamt der ihr innewohnenden Eigenschaften, in eine für den Menschen gedanklich nachvollziehbare Gestalt zu komprimieren. Heute ist sie mehr denn je eine Waffe, da sie mit einer unvorhergesehenen Radikalität und Schnelligkeit, als Erzeuger künstlicher Bedürfnisse fungiert. Künstliche Bedürfnisse, definieren sich durch ihre Unnotwendigkeit für das Erreichen menschlichen Glücks und innerer Selbstverwirklichung. Globaler Konkurrenzkampf wird jedoch auf der Grundlage von Zahlen geführt, und sie ersetzen im unvernünftig erscheinenden Ausmaß die Formen des inhaltlichen Denkens. Wir leben unzweifelhaft in einer kapitalistischen Gesellschaft doch es ist nicht Ziel dieser Abhandlung darüber zu referieren, inwiefern ein Bewertungssystem geschaffen werden kann, das auf der Grundlage des Strebens nach innerem Glück, Rückschlüsse über die Gut- bzw. Bösartigkeit dieser Wirtschaftsform zulässt. Wirtschaftliche Leistungen bemessen sich faktisch ausschließlich an Zahlen. Es herrscht der allgemeine Konsens vor, dass auf Basis von theoretisch entwickelten Wirtschaftselementen, das Annehmen bestimmter Zahlenwerte den Wert eines Unternehmens steigert oder mindert. So geht mit der Quantifizierung der Welt auch häufig eine Qualifizierung einher, die sich jedoch nicht an wahrhaftigen menschlichen Errungenschaften und Fähigkeiten bemisst, sondern lediglich auf der Illusion beruht, dass Zahlen die realen Verhältnisse adäquat repräsentieren. Innerhalb der Wirtschaft ist dies sogar der Fall, obschon Zahlen in den meisten anderen Bereichen einen wesentlich geringeren Stellenwert haben.

 

Der destruktive Charakter der Quantifizierung im Alltag

 

All jene Prozesse der Quantifizierung, und die damit einhergehenden Probleme, hätten nicht zu einem derart einflussreichen Bestandteil und zur Realität der heutigen Welt werden müssen. Die Menschen wurden durch mächtige Institutionen dazu indoktriniert, die Zahl als Merkmal der Qualität in einer Welt von Quantität verstehen zu lernen. Bereits in der Schule, fallen viele Menschen der ominösen Form von Quantifizierung zum Opfer. Das Notensystem bewertet die Leistungen der Kinder im Hinblick auf ihre Reproduktionsfähigkeit des vermeintlich „Gelernten“ mit Zahlen. Noten tragen nicht zur Förderung des Gemeinwohls bei, sondern spalten die individuell befähigten Kinder in unterschiedliche Lager. Sie sind pädagogische Kapitulation vor der Herausforderung, Schüler und Schülerinnen gezielt individuell zu fördern und Methoden zu entwickeln um ihre jeweiligen Schwächen über den Ausbau der Stärken zu kompensieren. Leistungen und Fähigkeiten der Menschen lassen sich nicht in eine Zahl komprimieren. Dies wird jedoch gemacht, um sie frühzeitig in das bestehende Wirtschaftssystem eingliedern zu können. Diejenigen Schüler und Schülerinnen, die sich über jene Tatsache bewusst werden und Widerstand praktizieren, werden für gewöhnlich sanktioniert und für das System unschädlich gemacht. Dies erfolgt indem man ihnen nicht die gleichen Qualifikationen zukommen lässt wie denjenigen, die sich dem System (un)freiwillig unterworfen haben. Die Abiturnote spielt bei der Bewerbung bestimmter Studienfächer an deutschen Hochschulen eine Rolle. Dies beweist einmal mehr, dass auch auf dem Jobmarkt mit dem gleichen Mechanismus gehandelt wird.

 

Die Zahl ist an und für sich weder gut noch schlecht. Sie fungiert, wie bereits erwähnt, als mathematische Operation, mit der eine Größe bzw. Dimension in abstrakter Form und für uns nachvollziehbar abgebildet werden soll. Die Naturwissenschaft hätte ohne die Zahlen nie erreicht, was sie heute vorzuweisen hat. Sie hat in den Zahlen aber auch nie Kriterien für die Beurteilung der Qualität des menschlichen Lebens gesehen, sondern sie stets als notwendiges mathematisches Hilfsmittel betrachtet. So kann eine medizinische Messgröße wie der Blutdruck wissenschaftliche Anhaltspunkte über den Gesundheitszustand des Patienten geben. Die Messgröße selbst, wird aber nie dazu in der Lage sein, den tatsächlichen inneren Gefühlszustand des Patienten adäquat zu beschreiben. Gefühle und Gedanken, lassen sich in ihrer ganzen Reinheit weder in Worte noch in Zahlen fassen. Das Übel der Zahl ist auch nicht durch sie selbst entstanden, sondern vielmehr durch ihre unsachgemäße Nutzung in zum Teil völlig absurden Kontexten.

 

Entwicklung von Technologie und Digitalisierung

 

Die Entwicklung von komplexer Technologie wäre ohne Zahlen nicht möglich gewesen. Zweifellos hat uns der technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte in ein neues Zeitalter überführt. Selbst dort wo die Tüchtigkeit von Maschinen früher durch einen mechanischen Antrieb garantiert wurde, ist der allgemeine Trend zu beobachten die analogen Signale der Welt in digitale zu übertragen. Die Technologisierung der Welt hat viele Abläufe erleichtert und den Menschen systematisch vom Arbeiter zum Chef befördert. Maschinen schaffen in noch nie da gewesener Schnelligkeit und Effizienz, was mithilfe menschlicher Arbeitskraft nicht vorstellbar wäre. Diese Entwicklung ist partout nicht als fortschrittlich zu empfinden. Die Vorstellung, vom Fortschritt menschliche Arbeit durch Roboter zu ersetzen, beruht einzig auf dem Wunsch Effizienz und Produktivität der Konsumgüter zu steigern. Ziel ist die Vermehrung und Akkumulierung von Kapital im Sinne der Steigerung von Quantität. Innerhalb des Kapitalismus geht mit diesem Wachstum auch ein Fortschritt der Qualität des betroffenen Unternehmens einher. Der Missbrauch der Zahl an der Vorstellung von unbegrenztem Wachstum, hat die humanistisch-ethische Verantwortung von Wirtschaft als obsolet verkommen lassen.